
The Earl und Freundschaften (#7)
- P

- 3. Aug.
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 8. Aug.
In letzter Zeit habe ich mit vielen Menschen über das Thema Freundschaften gesprochen und bin dabei zu einer Erkenntnis gelangt: Wir fühlen uns alle auf die eine oder andere Weise manchmal einsam. Dies hat mich besonders in Bezug auf Personen überrascht, die ich aufgrund ihrer zahlreichen Freundschaften teilweise beneidet habe. Gleichzeitig waren manche überrascht. Die Wahrheit ist: Auch ich fühle mich oft einsam. Manchmal fühle ich mich nicht verstanden, manchmal habe ich Angst davor, dass Freundschaften enden könnten, weil ich mich dann noch einsamer fühle. Zu Beginn dieses Jahres musste ich mich dieser Angst stellen.
Wer mein Osterspezial zur Wiederauferstehung nach Aldi-Guy (#2) und dem dramatischen Vergleich mit der Bibelgeschichte gelesen hat, kann sich daran erinnern, dass ich im Herbst letzten Jahres eine etwas turbulente Zeit durchlebt habe. Zunächst läuft noch alles wunderbar. Ich verbringe meinen Geburtstag mit meiner Mutter in Spanien, fühle mich ausgeglichen, selbstbewusst, zufrieden; einfach glücklich. Als ich Mitte September zurückkomme, sieht die Situation etwas anders aus: Ich habe gesundheitliche Probleme, Aldi-Guy taucht nachts vor meinem Haus auf und meine Panikattacken häufen sich. Meine engsten Freundinnen und Freunde realisieren schnell, dass etwas bei mir nicht stimmt, und kümmern sich rührend um mich. Mit einer Ausnahme: Anna*, eine meiner damals besten Freundinnen, nimmt meine Anrufe nicht an, antwortet nur sporadisch auf meine Nachrichten und auch wenn ich ihr schreibe, dass es mir nicht so gut geht, zeigt sie kaum eine Reaktion. Da Anna* (die in einer anderen Stadt wohnt) oft mit sich selbst beschäftigt ist und jeweils nach Zürich auf Besuch kommt, wenn es ihr gerade passt, reime ich mir zusammen, dass sie wohl beschäftigt ist und ihr Ding macht und da nichts weiter dahintersteckt. Stattessen stütze ich mich auf meine anderen Freunde, die in dieser Zeit eine sehr einseitige Freundschaft leben, in welcher es ausschliesslich um mich geht.
Im Oktober kommt Anna* nach Zürich und es scheint alles wieder beim Alten zu sein. Nachdem Anna* am Abend nach Hause fährt, folgt dann eine Funkstille. Im November sehe ich Anna* an einem Geburtstag in Genf, an welchem ich ausser ihr kaum jemanden kenne. Zu diesem Zeitpunkt fallen mir soziale Interaktionen ziemlich schwer. Anna* behandelt mich wie Luft und ich fühle mich wahnsinnig alleine und frustriert. Am Folgetag verlasse ich mein Bett nicht. Nach einem Gespräch mit zwei gemeinsamen Freunden von Anna* und mir wird mir klar, dass Anna* ein Problem mit mir hat und sie mit allen darüber sprechen kann, ausser mit mir. So zerbreche ich mir den Kopf darüber, was ich falsch gemacht haben könnte, thematisiere dies mit meiner Therapeutin und schreibe Anna* erneut, ob wir uns treffen und sprechen können. Die Antworten von ihr: "Nein, ich bin in Schweden.“ oder „Nein, ich kann nicht. Mir geht es nicht gut, wir können dann im Januar sprechen." Auf die letzte Nachricht hin wir es mir zu kindisch, weshalb ich Anna* anrufe. Sie drückt mich weg. Dann entfolgt mir Anna* auf Instagram.
Nach etwas über vier Monaten, in denen Anna* und ich fast keinen Kontakt haben, treffen wir uns im Januar für ein Gespräch. Sie gibt, wie immer, die Konditionen vor: Das Gespräch muss ausgerechnet am Geburtstag meines Freundes Tristan* stattfinden, obwohl ich ihr sage, dass mir ein anderer Tag lieber wäre. Wie immer gebe ich nach. Wir treffen uns in einem von Anna* gewählten Restaurant. Zunächst erzählt mir Anna* himmelhoch jauchzend über ihren neuen Freund und ihr ach so tolles Leben. Wie sie jetzt nur noch die besten Menschen in ihrem Leben habe. Dann sprechen wir über uns. Sie sagt mir, dass sich im Sommer 2024 die Dynamik in unserer Freundschaft verändert, sie sich zu wenig wertgeschätzt gefühlt und sie sich deshalb von mir distanziert habe. Anna* spricht lange und ich höre ihr zu. Als ich mit Sprechen dran bin und versuche, die fehlende Wertschätzung zu verstehen, hätte ich die Freundschaft mit ihr in meinem Leben doch stets priorisiert, unterbricht sie mich und meint, dass genau das toxisch von mir gewesen sei. Was genau sich in der Dynamik geändert hat, habe ich bis heute nicht verstanden. Generell lässt sie mich nicht aussprechen, fällt mir ins Wort und platziert immer wieder Aussagen, deren Zusammenhang mit der Thematik ich nicht sehen kann und die ich schlussendlich nur als Versuch, mich zu verletzen, interpretiere. So sagt mir Anna* unter anderem, sie habe Ende Jahr rückblickend auf ihr Datingleben geschaut und gemerkt, dass sie (anders als ich) nur gute Menschen gedated habe und das schon etwas über einem selbst aussage. Anna* sagt mir, dass ich mit meinen Anrufen ihr Bedürfnis nach Distanz nicht respektiert habe und das von mir übergriffig gewesen sei. Sie sieht ein, dass die mangelnde Kommunikation ihrerseits nicht optimal gewesen sei und könne nachvollziehen, wie ich mich jetzt gerade fühle, habe sie vor nicht so langem etwas sehr ähnliches mit einer anderen Freundin erlebt. Ganz am Ende unseres Gesprächs sagt mir Anna*, dass sie ja vielleicht mal wieder nach Zürich zieht und wir allenfalls dann einen Kaffee trinken können, sie mich aber jetzt nicht mehr in ihrem Leben haben möchte.
Während dem ganzen Gespräch fühle ich mich nervös, überfordert, nicht respektiert und verletzt. Ich fühle mich nicht wie mich selbst, sondern wie eine kindliche Version von mir. Anna* triggert mich. Dadurch fühle ich mich wie gelähmt und schaffe es nicht richtig, meine Emotionen und Gedanken in Worte zu fassen. Mir steigen wiederholt Tränen in die Augen und ich bin mehr als erleichtert, als dieses Gespräch zu Ende ist und ich Anna* für immer den Rücken zudrehen kann. Weinend steige ich in den Nachtbus, in welchem ich natürlich auf einen ehemaligen Arbeitskollegen treffe (Grüsse gehen raus an dieser Stelle, schön, konnte ich dir mein ugly cry face präsentieren). Die Bedingungen für das Gespräch mit Anna* Gespräch waren nicht optimal, denn während ich mich in keinster Weise darauf vorbereiten konnte, hatte Anna* vier Monate Zeit, um sich auf das Gespräch einzustellen. Das Verhalten von Anna* hat mir alles gezeigt, was ich wissen musste.
Meine Therapeutin hat mir eine Frage gestellt, die noch so banal scheinen mag, mir in diesem Moment aber die Augen geöffnet hat: "Du hast viele Mutmassungen angestellt, was du falsch gemacht haben könntest und weshalb diese Person dich nicht mehr in ihrem Leben haben möchte. Nach all dem, was du mir über sie erzählt hast, frage ich mich: Warum willst du überhaupt mit dieser Person befreundet sein?" Ich konnte ihr diese Frage nicht beantworten. Sie gestellt zu erhalten war aber alles, was ich zu diesem Zeitpunkt brauchte. Eine Freundin, die mein inneres Kind hervorbringt, die mich absoult im Dunkeln lässt, der meine Gefühle scheinbar egal sind und die nicht für mich da ist, wenn ich sie am meisten brauche. Nein, danke. Die Situation mit Anna* hat mir gezeigt, wie wunderbare Menschen ich in meinem Leben habe und hat mir geholfen, zu erkennen, auf was es in Freundschaften denn wirklich ankommt:
Verlässlichkeit
Von FreundInnen erwarte ich, dass sie für mich da sind, wenn ich sie brauche. Genau so würde ich alles stehen und liegen lassen, wenn jemand meiner FreundInnen mich braucht, egal, ob wir gerade weniger Kontakt haben oder nicht. Anna* konnte nicht für mich da sein. Sie hat mich im Stich gelassen. Meine wahren Freunde haben Verabredungen abgesagt, um mich zu meinen Arztterminen zu begleiten, haben mir Essen gemacht, mir liebe Nachrichten geschrieben, mich umarmt, wenn ich es gebraucht habe. Manchmal sind Freundschaften einseitig. Wenn mein Haus brennt, geht es darum, das Feuer in meinem Haus zu löschen. Mir ist es dann wichtig, meinen FreundInnen zu sagen, dass mir diese Einseitigkeit sehr bewusst ist und dass ich ihre Unterstützung sehr schätze und dankbar dafür bin. Für was hat man Freunde, wenn nicht hierfür?
Kommunikation
Kommunikation braucht zweierlei: 1) Die Fähigkeit, zu kommunizieren, und 2) den Willen dazu. Kommunikation muss man erlernen. Jede Person ist für die Kommunikation ihrer eigenen Gefühle und Bedürfnisse verantwortlich. Den Willen, etwas zu kommunizieren, ist eine bewusste Entscheidung. Bei mir sieht das so aus: A) Etwas stört mich und es ist mir wichtig, dass es nicht wieder passiert: Ich spreche mit darüber. B) Ich messe der Angelegenheit wenig Bedeutung bei bzw. es ist mir nicht wichtig: Ich spreche nicht darüber. Dann ist das Thema aber gegessen und ich gebe der Person nicht passiv-agggresiv das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, weil ich ihr ja auch die Möglichkeit verwehre, etwas an der Situation zu ändern.
Anna* besitzt die Fähigkeit, zu kommunizieren, würde Kommunikation selbs wahrscheinlich als ihre Stärke bezeichnen. Anna* hat sich bewusst dazu entschieden, mich vier Monate lang im Dunkeln zu lassen, mir aber gleichzeitig das Gefühl zu geben, dass ich etwas falsch gemacht habe. Sie hat mir nicht die Möglichkeit gegeben, mein Verhalten zu erklären oder an unserer Freundschaft zu arbeiten. Meine Gefühle waren ihr egal. Das ist eine bewusste Entscheidung, die ich nicht verstehen kann, aber akzeptiere. Für mich habe ich gelernt, dass ich nie wieder in dieser Situation sein möchte. Denn das führt dazu, dass ich mir den Kopf darüber zerbreche und an mir selber zweifle. Es bringt mein inneres Kind zum vorschein. Das will ich in keiner Freundschaft.
Gemeinsam wachsen können
Meine Therapeutin hat mich gefragt, was im Sommer 2024 dazu geführt haben könnte, dass sich die Dynamik in der Freundschaft mit Anna* geändert hat. „Im Sommer 2024 war ich so selbstbewusst, zufrieden und glücklich wie noch nie zuvor“, habe ich geantwortet. Vielleicht war ja gerade das das Problem. Nach dem Gespräch mit meiner Therapeutin habe ich eine Freundin gefragt, wie sie mich im Sommer wahrgenommen hat. "Du warst so bei dir selbst und zufrieden mit deinem Leben, wie noch nie. Du hast gestrahlt, warst selbstbewusst, hast dein Ding gemacht. Das war sehr schön zu sehen." Das ist die Antwort einer Person, die ich in meinem Leben haben möchte. Die mich bei positiven Entwicklungen genauso begleiten wie bei negativen. Freunde, von denen ich etwas lernen kann, Freunde, die mich inspirieren, mich aber auch kritisch hinterfragen. Freunde, die mit mir zusammen wachsen können und dazu beitragen, dass ich an mir arbeiten kann.
Wenn mir die Erfahrung mit Anna* eines gezeigt hat, dann ist es das Folgende: Alleine die Tatsache, dass man sich lange kennt oder dass man viele Erinnerungen mit einer Person hat, reicht nicht aus, um befreundet zu bleiben. Wenn du dich fragst, weshalb du mit einer Person befreundet bis, und dir nichts dazu einfällt, ist das kein gutes Zeichen. Eine Freundschaft zu beenden und eine Person aus dem eigenen Leben auszuschliessen braucht Mut. Es bedeutet, der (irrationalen) Angst vor Verlust und dem Alleinsein ins Auge zu blicken und den Entschluss zu fassen, lieber alleine zu sein als in schlechter Gesellschaft. Schluss-endlich geht es uns in dieser Hinsicht allen gleich. Schlussendlich fühlen wir uns alle gemeinsam einsam.
X, P







Kommentare