Der Geburtstag (#9)
- P

- 31. Aug.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 30. Sept.
An einem Tag im Jahr mag ich keine Aufmerksamkeit. An einem Tag im Jahr fühle ich mich niedergeschlagen, einsam und traurig. An einem Tag im Jahr wache ich auf und sehne mich danach, wieder ins Bett gehen zu können. An diesem einen Tag im Jahr feiere ich Geburtstag. Dabei ist „feiern“ nicht ganz das richtige Wort, denn während die meisten Menschen Parties veranstalten oder ganze Geburtstagswochen feieren, verbringe ich meinen Geburtstag meistens - aus reinem Zufall natürlich - abwesend. Am liebsten im Ausland; beschäftigt und unerreichbar. Mein Geburtstag weckt keine guten Gefühle in mir. Dies zu erklären, ist mir unangenehm und fällt mir nicht ganz leicht. Ich will es aber versuchen.
Vom Feiern hält mich weder das im Mittelpunkt stehen, noch die Glückwünsche oder ein voller Terminkalender ab. Als ich klein war, konnte ich den Tag, an welchem es nur um mich geht, alle Probleme in den Hintergrund rücken und alle glücklich zu sein scheinen, kaum erwarten. Solche Tage gab es früher nicht oft. Ich wuchs mit einem komplexen, jähzornigen Vater auf, dessen Stimmungsschwankungen mich tagtäglich stark verunsicherten. Früh brachte ich mir bei, in Anwesenheit meines Vaters möglichst brav und still zu sein, um so die Harmonie zuhause zu wahren. Abends hörte ich meine Eltern im Wohnzimmer unterhalb meines Schlafzimmers streiten. Ihr Geschrei wurde zum Hintergrundsgeräusch, welches mich abends in den Schlaf wog. Keinen Streit gab es aber an den Tagen, an welchen eines von uns Kindern Geburtstag hatte.
Am Geburtstagsmorgen weckte mich meine Mutter strahlend, klatschend und „Happy Birthday“ singend. Das war für mich immer der schönste Tag des Jahres, denn am Geburtstagsmorgen schienen alle Probleme verflogen und die Welt perfekt zu sein. Auch wenn ich definitiv verwöhnt war und meine Mutter sich stets Mühe gab, uns eine Geburtstagsparty zu schmeissen, das Lieblingsgericht zu kochen und Geschenke zu organisieren, fragte ich mich am Morgen meines Geburtstags insgeheim, ob mein Vater, wenn er denn von der Arbeit zurückkommen würde, an meinen speziellen Tag denken oder ob meine Mutter ihn wiedermal verärgert daran erinnern würde. Voller Freude wartete ich auf das gemeinsame Lasagneessen (damals mein Lieblingsgericht) als Familie. Bis dann die Enttäuschung kam und mein Vater sich nach einem kurzen „Alles Gute“ in sein Musikzimmer zurückzog. Wenn mein Vater nach Hause kam, war der Geburtstagszauber verflogen. Dann wandelte sich die Hoffnung in Enttäuschung um.
Als meine Eltern sich scheiden liessen und ich bei der Kinderanhörung vor Gericht ehrlich und mutig das Leben mit meinem Vater schilderte, wusste ich nicht, dass ich damit gleichzeitig unsere Beziehung beenden würde. Denn: Als Folge meiner Anhörung entzog die Richterin meinem Vater das Sorgerecht, woraufhin dieser mich vor ziemlich genau 16 Jahren aus seiner Wohnung warf. Seither haben wir keinen Kontakt. Mit einer Ausnahme: Einmal im Jahr erhalte ich eine SMS von ihm, in welcher er mir alles Gute wünscht. Die Nachricht signiert er jeweils mit „LG Papi“. Jedes Jahr an meinem Geburtstag warte ich auf die kleine "1" neben der Nachrichtenapp, welche den Eingang einer neuen SMS ankündigt. Dabei kann ich nicht sagen, was mehr Panik in mir auslöst: Dass eine neue Nachricht meines Vaters eingeht oder dass diese dieses Jahr unterbleiben könnte.
Mein Geburtstag steht für mich nicht einfach dafür, dass ich eine weitere Drehung um die Sonne miterlebe. Auch nach 28 Jahren verspüre ich an diesem Tag das kribbelnde Gefühl von bevorstehender Enttäuschung. Die irrationale Angst, in Vergessenheit zu geraten, alleine und ungeliebt zu sein. Gleichzeitig dient mein Geburtstag als Portal zu einer Zeit, in welcher mein Vater Teil meines Lebens war. Ein letzter Anker, bevor ich mir eingestehen muss, dass ich schon länger keinen Vater mehr habe.
Der Tag steht in meinem Leben für so vieles und zieht mich jedes Jahr aufs Neue in eine Gedankenspirale. Mich diesem Kontrollverlust über meine Emotionen und Gedanken hinzugeben, will ich nicht mehr. Stattdessen versuche ich dieses Jahr, dem Tag eine neue Bedeutung beizumessen und ihn zu nutzen, um die Menschen zu feiern, die mich ins neue Lebensjahr begleiten. Um in Erinnerungen zu schwelgen und dankbar zu sein für all die Momente, die sie mir beschert haben. Und auch um die Menschen zu feiern, die mein Leben verlassen und mich damit zur Person geformt haben, die ich heute bin. Ob mir dies gelingt, wird sich zeigen. Wenn nicht, verbringe ich den Tag immerhin bei einem Apérol Spritz weinend am Strand. Es könnte schlimmer sein.
In diesem Sinne: Auf ein neues Lebensjahr.
P







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