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Die Panikjahre (#8)

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    P
  • 6. Aug.
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 30. Sept.

In ein paar Tagen bin ich 28 Jahre alt. Dann beginnen (zumindest gemäss der Autorin Nell Frizzell) offiziell die Panikjahre. Letzte Nacht habe ich wie immer alleine und diagonal in meinem 160cm Bett geschlafen und mein Mobiltelefon heute Morgen nicht aus dem Flugmodus genommen, weil ich ohnehin keine Nachrichten erwarte. Ab Dezember werde ich arbeitslos sein und von meinem Ersparten leben, während ich mich auf eine Prüfung vorbereite, die mich eineinhalb Jahre meines Lebens berauben wird. Während mein gleichaltriger Cousin seine Hochzeit plant, bin ich schockiert, wenn ich, sollte ich jetzt schwanger werden, ernstahaft nicht mehr als Teenage Mum gelten würde. Wenn mich dann die Freundin meiner Mutter Dinge fragt wie: "Denkst du, du hast in Jura deine Berufung gefunden? Gibt es eigentlich niemanden in deinem Leben? Willst du keine Kinder haben?" reisst mich das in eine Gedankenspirale. Warum fragt mich eigentlich niemand, ob ich nach Kirgistan auswandern will? Ob ich mir das mit der Arbeit als Domina nicht doch überlegen will? Fragen wie diejenigen der Freundin meiner Mutter verdeutlichen mir die Heteronormativität unserer Gesellschaft und die damit verbundene Tatsache, dass die relevanten Fragen der Dreissiger nicht ob-Fragen, sonder wann-Fragen sind.


Traumjob Arbeitslosigkeit

Am liebsten wäre ich arbeitslos. Am ausgelassensten und glücklichsten fühle ich mich, wenn ich Freitagsmorgens in einem leeren Hallenbad meine Längen schwimme und mich dann draussen mit meinem Buch auf den Rasen lege, bevor ich in einer leeren Migros Dinge einkaufen gehe, die sich absolut nicht in ein Gerucht einbauen lassen. Wenn ich dann meine Freunde sehen, die bis spät nachts arbeiten und ihnen dies scheinbar auch nichts ausmacht, frage ich mich, was mit mir eigentlich falsch läuft. Ist Jura meine Berufung? Oder habe ich mich da in der Studiumswahl vergriffen und wäre doch besser etwas anderes geworden? Ich bin schliesslich schon fast dreissig und sollte nun wirklich langsam wissen, wie ich meinen Lebensunterhalt finanzieren will. Ehlriche Gespräche wie mit meinem Freun Teo* zeigen mir dann wieder: Es geht uns allen gleich. Teo*, welcher mutig für sein Studium ins Ausland gezogen ist und dort ein Praktikum bei einem Organ der EU absolvierte, hat Angst, keinen Job zu finden. Auch dieses Gefühl kommt mir bekannt vor. Die Angst, keinen Job zu finden und die stille Hoffnung, dass mich niemand einstellt und ich halt mein Leben geniessen muss, halten sich so die Waage.


Partnerschaftszwang

Als ich klein war habe ich am liebsten kitschige Liebesfilme geschaut. Ich kann mich erinnern, wie ich gebannt Ryan Gosling in "Wie ein einziger Tag" dabei zugesehen habe, wie er versucht, die Erinnerungen seiner an Alzheimer erkrankten Jugendliebe und Frau Allie zurückzugewinnen. Mir kommt kein einziger Film in den Sinn, welcher das Alleinesein romantisiert. Im Gegenteil: Gemäss Hollywood geht es im Leben ums Heiraten und Kinderkriegen und jeder Mensch muss das wollen. Alles andere ist eigenartig und kann unmöglich das Resultat einer freien Entscheidung sein. So habe ich mir als Kind jeweils vorgestellt, wie mich ein Mann erobert (am Besten mir Gitarre und Rosen bewaffnet nachts vor meinem Balkon), wir unsere weisse Hochzeit in Italien feiern, ein kleines Haus auf dem Land bauen und eine Familie gründen. Das Gesicht meines zehnährigen Ichs möchte ich ja nicht sehen, wenn es feststellen müsste, wie ich – 28, ohne feste Partnerschaft – nicht seit 5 Jahren glücklich verheiratet bin und mein drittes Kind erwarte. Die Timeline ist verschoben, keine feste Partnerschaft ist in Sicht und der Gedanke, den Rest meines Lebens mein Bett mit einer Person teilen zu müssen, finde ich nicht so sexy. Manchmal fühle aber auch ich mich aufgrund des gesellschaftlich klar vorgegebenen Bildes eines erfüllten Lebens unter Druck gesetzt. Aufgrund von Studien wie die des Pew Research Centers (R. Fry und K. Parker, Rising Share of U.S. Adults Are Living Without a Spouse or Partner, 2021), gemäss welcher eine in vier erwachsenen Personen ihr Leben lang single sein wird, frage ich mich, ob ich "the odd one out", die Sonderbare, sein werde, die keine Person findet, die es mir ihr aushält. Dann öffne ich fast automatisch Hinge und zwinge mich auf ein Date. „Von nichts kommt nichts" und ich muss mich ja schon etwas ins Zeug legen, um nicht alleine zu enden. Dies, obwohl ich mit meinem Leben zufrieden bin, so wie es gerade ist, ich meine Freiheiten geniesse und nicht das Bedürfnis nach einer Partnerschaft verspüre. Meine Gelassenheit ist bestimmt auch auf die Tatsache zurückzuführen, dass mein engstes Umfeld aus Singles besteht, die ganz viel Zeit für mich haben und ihre Freundschaften mit Priorität behandeln. Der Druck, eine/n passende/n PartnerIn zu finden, hat für Frauen zusätzlich eine biologische Komponente: Das optimale Alter einer Frau, um auf natürliche Art und weise Kinder zu haben, liegt zwischen 20 und 30. Danach steigt das Risiko einer Fehlgeburt. Wenn ich also verschlafe und mich nicht so bald wie möglich um eine seriöse Partnerschaft bemühe, wird allenfalls die Entscheidung genommen, Kinderzu haben oder nicht.


Kinderwunsch

Mag ich Kinder? Ja, sehr sogar. Würde es mich erfüllen, eigene Kinder zu haben? Ja, definitiv. Die Frage "Will ich Kinder haben?" kann ich aber nicht so leicht beantworten. Kann man einen Kinderwunsch im Jahr 2025 vor dem Hintergrund der aktuellen Lage des Klimawandels und der Geopolitik noch verantworten? Die USA steigt unter Trump (am Tag seiner Amtseinführung) aus dem Pariser Klimaabkommen aus. In seinem Schreiben an die UNO macht Trump klar, dass die USA sich (trotz einjähriger Kündigungsfrist) per sofort vom Kampf gegen die globale Erwärmung abwendet. Auch die AfD, die durch den weltweiten Rechtsrutsch in Deutschland an immer mehr Macht und Einluss gewinnt, erklärt in ihrem Programm zum Bundeswahltag für einen Ausstieg Deutschlands aus dem Pariser Klimaabkommen. Die AfD setzt noch einen drauf und kündigt an, am liebsten sämtliche Windkraftwerke niederzureissen und stattdessen wieder Kohlenkraftwerke in Betrieb zu nehmen. Wissenschaftler gehen aktuell davon aus, dass zwischen den Jahren 2080 und 2100 (also in 55 bis 75 Jahren) ein Drittel (!!!) der Erde aufgrund der Klimaerwährmung (und dem erwarteten globalen Temperaturanstieg von zwischen 1,4 und 4,4 Grad Celsius) unbewohnbar (tödliche Hitze, Wassermangel, überflütete Küsten) sein wird. Gleichzeitig geht die UNO von einem Höchststand des Bevölkerungswachstums im Jahr 2080 aus. Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach Kindern für mich eine sehr komplexe, die mir Kopfschmerzen bereitet und die ich gerne verdränge, bis mich dann die Freundin meiner Mutter wieder daran erinnert. Ein Gespräch mit meinem Freund Elias*hat mich neulich nachdenklich gemacht: "Nehmen wir an, ich habe ein Kind, welches zu einem intelligenten, kritisch denkenden Wesen heranwächst, das naturwissenschaftlich tätig ist. Was antworte ich meinem Kind auf die Frage, weshalb ich mich dazumal trotz Wissen um die aktuelle Prognose dazu entschieden habe, es in diese Welt zu setzen?" meinte er. Gleichzeitig stelle ich mir das Szenario, in welchem ich selbst keine Kinder habe, die Menschen in meinem Umfeld hingegen mit ihren PartnerInnen ein Haus kaufen (sofern sich das überhaupt noch irgendwer leisten kann), Kinder haben und ihr Leben ganz nach ihrer Familie richten, schwierig vor. Wenn ich als einzige zurück bleibe und meine Mami-Freundinnen frage, ob sie Lust auf Saufferien in Ibiza haben, kann ich mir ihre Anwort denken. Im Horrorszenario, bis dann auch noch nicht den richtigen Partner gefunden zu haben, sehe ich mich alleine im Beachclub in Ibiza eine Pina Colada mit Schirmchen schlürfen. Was macht man eigentlich mit 40, wenn nicht schmutzige Windeln wechseln und seinen Sprösslingen beibringen, dass man mit vollem Bauch nicht baden geht?


Wenn du bis hierhin gekommen bist und nicht bereits aufgrund der bedrückenden Stimmung das Fenster meines Blogs wieder geschlossen hast, möchte ich dir auf den Weg geben, dass – auch wenn solch kritischen und pessimistischen Gedanken manchmal unumgänglich sind – wir alle im gleichen Boot sitzen. Ein Boot, für welches es aufgrund des Meeresspiegelanstiegs und den geschmolzenen Gletschern immerhin genügend Raum geben wird. Jetzt mal ernsthaft: Wenn ich an meine bevorstehenden Dreissiger denke, freue ich mich auf die nächste Dekade. Es wird die erste Zeit meines Lebens sein, in welcher ich nicht date, um meinen Selbstwert zu boosten. In der ich meinen Hormonhaushalt im Griff habe und auf meinen Körper höre. In welcher ich mache, was ich will, ohne mich dafür zu rechtfertigen. In welcher ich mutig bin und mir meine Zeit zu kostbar ist, um sie mit Menschen und Dingen zu verschwenden, die mein Leben nicht bereichern. Eine Zeit, in welcher ich hoffentlich zur Erkenntnis gelangen werde, dass ich viel mehr sein kann, als Juristin, Ehefrau und Mutter.


x, P


ree

 
 
 

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