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Die Wiederauferstehung

  • Autorenbild: P
    P
  • 20. Apr.
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 11. Nov.

Passend zur Wiederauferstehung Jesu Christi folgt eine kleine Geschichte dazu, wie auch ich anfangs Jahr eine mini Wiederauferstehung erleben durfte. Kleiner Einschub: Wer nun Angst hat, dieser Beitrag würde sich als heimtückischer, biblischer Bekehrungsversuch entpuppen, liegt falsch. Auch wenn meine Vorfahren streng den katholischen Glauben praktizierten – erkennbar am Kreuz, welches meinen Hals ziert – bin ich nicht mehr Mitglied der katholischen Kirche. So nahm ich mir als erste Handlung nach meinem Umzug vor, aus der Kirche auszutreten. Mein Austrittsschreiben kreuzte sich leider Gottes mit dem Brief der Kirche meines neuen Wohnortes, in welchem mich diese herzlichst im neuen Kreis willkommen hiess. An dieser Stelle grüsse ich meine ehemalige (zumindest für ganze 24 Stunden) Kirche: Liebend gerne hätte ich doch am Kaffee- und Kuchenplausch teilgenommen und mich mit euch über die jüngsten Skandale eurer Priester ausgetauscht (Disclaimer: Ich mache mich über die katholische Kirche als Institution lustig, nicht über den Glauben an sich).


Bevor man Wiederauferstehen kann, folgt zunächst der Abstieg: Mein Judas hört auf den Namen "Aldi-Guy" (ob er wirklich auf den Namen hört, konnte ich bis anhin leider nicht verifizieren. In meinem Umfeld ist er zumindest unter diesem Alias bekannt). Es ist Juli, ich will mir einen Snack für die Badi kaufen und gehe nach der Arbeit noch kurz in eine Aldi-Filiale, welche sich in einem skurrilen Zürcher Stadtteil befindet. Die Geschichte nimmt ihren Lauf, als ich in einem schwachen Moment den Eingang zum Geschäft nicht finden kann. Ein sympathischer, attraktiver Mann kommt mir entgegen, zeigt mir den Weg und fragt mich, was ich heute noch so Schönes vorhabe. "Gehe in die Badi" sage ich, bereits etwas genervt, weil mir der Schweiss runterläuft und ich doch eigentlich möglichst rasch und in Ruhe baden gehen will. Ob er mitkommen kann, fragt er mich. "Du, eigentlich lieber nicht. Aber gib mir doch deine Nummer" sage ich. So verabschiede ich mich von Aldi-Guy und schlendere frischfröhlich in die Badi. Zunächst denke ich nicht im Traum daran, ihm auch tatsächlich zu schreiben. Ich fühle mich gut über mein Leben und bin eigentlich zufrieden, so wie alles gerade läuft. Dann kommt mir ein Gespräch mit Freunden vom Vortag zum Thema Dating-Leben in den Sinn. "Von nichts kommt nichts" war da die Devise. Also gebe ich Aldi-Guy eine Chance.


Ein paar Tage später gehen wir im See baden. Aldi-Guy scheint sehr reflektiert, charismatisch und unkompliziert. Es entwickelt sich das Paradebeispiel einer Situationship (für die Boomer unter euch: Das ist eine lockere, undefinierte Beziehung zwischen zwei Menschen) mit dem Unterschied, dass Aldi-Guy zu Beginn noch sehr wohl kommuniziert, was er denn will: Beim ersten Date erklärt er mir, dass er auf der Suche nach etwas Ernstem sei (dieser Witz wird später in der Geschichte noch richtig lustig). Ob ich das (mit ihm) auch will, weiss ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Wir gehen wandern, campen, baden und kochen zusammen. Zu Beginn schaue ich der ganzen Sache noch entspannt entgegen. Wir sehen uns einmal wöchentlich und ich mache mir nicht viele Gedanken darüber, ob wir eine gemeinsame Zukunft haben. Aldi-Guy beherrscht das Handwerk des Love Bombings (Love Bombing meint eine Form der Manipulation, bei welcher eine Person mit Liebe bombardiert wird mit dem Ziel, sie an sich zu binden sowie Macht und Kontrolle über sie zu erlangen) wie kein anderer: Eines Sonntags erklärt er mir, dass ich doch bei ihm einziehen solle, da wir uns so etwas öfter sehen könnten. Bei dem piept's wohl, denke ich mir. Später beim Essen erklärt er, dass er sich schon länger den Kopf über mögliche Babynamen für unsere gemeinsamen Kinder zerbreche. Er baue uns irgendwann ein Haus in Kanada. Solche Bemerkungen schüttle ich jeweils als Witze ab. Das kann doch keiner ernst meinen. Gleichzeitig macht sich ein gewisses Unbehagen bei mir bemerkbar, weil mir das doch alles etwas zu schnell geht und meine Intuition mir sagt, dass etwas nicht stimmt. Trotz allem finde ich Aldi-Guy, wieso auch immer, einfach unglaublich cool. Er trägt Crocs, geht täglich fischen, raucht seine Vape, hat einmal ein paar Wochen in London auf der Strasse verbracht (einfach weil er mal wissen wollte, wie es als Obdachloser so ist), ist stolzer Besitzer eines sogenannten "Asi-Töfflis" und so weiter: Cooler Typ halt. Als Aldi-Guy eines Abends in einem Gespräch gekränkt feststellt, dass ich auf einem Date mit jemand anderem war, haben wir unseren DTR ("Define the Relationship", danke Laurin*) und beschliessen, exklusiv zu sein. Mehrere Personen gleichzeitig zu daten ist mir sowieso zu zeitaufwendig und zu kompliziert.


Am Tag darauf kann sich Aldi-Guy nicht mehr an unser Gespräch erinnern (Überraschung, Überraschung). Und doch: Ich komme einfach nicht von Aldi-Guy los. Meine Arbeitskollegin und mittlerweile gute Freundin Lidia* meinte einmal zu mir: "Es gibt nichts, was ich sagen kann, um dich vor dieser Situation zu bewahren. Irgendwann wirst du deinen Tiefpunkt erreichen und dann die toxische Situation verlassen können.“ Genau so kam es schliesslich auch. Aldi-Guy beginnt damit, mich emotional zu manipulieren ("gaslighting": Dabei versucht eine Person gezielt, die andere Person zu verunsichern, wodurch diese in der Folge an ihrer eigenen Wahrnehmung und ihrem Verstand zweifelt) und steht beispielsweise nachts um 01.00 Uhr weinend vor unserem Haus, nachdem ich ihn abserviere. Ich habe Mitleid mit Aldi-Guy. Während unseren Gesprächen verdreht er meine Aussagen und gibt mir das Gefühl, selbst nicht kommunizieren zu können und Bindungsängste zu haben. Ich zweifle an mir selbst. Ich schäme mich, wenn mich manche Personen fragen: „Wieso tust du dir das an? Du hast das doch nicht verdient.“ Ich habe regelmässig Panikattacken, die mich teilweise komplett lähmen. Zunächst gibt Aldi-Guy sich wieder Mühe, bis ich merke, dass er mich immer wieder anlügt. Häufig klingelt sein Telefon und der Name "Fabia*" erscheint auf dem Bildschirm. Aldi-Guy hält mir einen Vortrag, dass es sich bei Fabia* um seine gute Freundin handle, die Krankenschwester sei und deshalb immer nachts anrufe. Ich glaube ihm kein Wort. Das Schicksal meint es gut mit mir und über gemeinsame Bekannte erfahre ich: Fabia* ist seit zwei Jahren die Freundin von Aldi-Guy. Sie ist Ärztin, nicht Krankenschwester. Fabia* weiss nichts von mir. Zu guter Letzt fordere ich Aldi-Guy immer wieder dazu auf, mir meine sich bei ihm befindlichen Gegenstände zurückzugeben. Er weigert sich. An einem regnerischen Abend platzt mir der Kragen und ich stampfe komplett durchnässt zu ihm nach Hause, klingle und fordere ihn auf, mir meinen Scheiss zurück zu geben. "Schau dich mal an, du bist ja komplett irre. Du bist eine erwachsene Frau und tauchst einfach so bei mir zuhause auf? Du machst mir Angst!" so seine Worte. Ich schaue an mir runter und merke, dass ich mich selbst nicht wiedererkenne. Hier ist er nun: Mein Tiefpunkt.


Wenn du dich jetzt fragst, weshalb ich das mit mir machen liess, stellst du die falsche Frage. Auf die Frage, weshalb Aldi-Guy das mit mir machte, werden wir wohl nie eine Antwort erhalten. Aldi-Guy habe ich seit da (zum Glück) nie mehr wieder gesehen, weshalb ich ihn bisher nicht auf seinen Gedankengang ansprechen konnte. Angeblich ging er ja in Therapie, wobei ich davon überzeugt bin, dass er auch seine(n) Therapeut*in manipuliert haben muss. Die Wege von Aldi-Guy und mir kreuzten sich, als ich nicht zufriedener und selbstbewusster hätte sein können. Jetzt weiss ich: Die Situation lässt sich im Sinne der Bindungstheorien mit einem Warm-Kalt-Spiel erklären. Zunächst erhält man Aufmerksamkeit und Zuneigung ("warm"), dann folgt Distanz und Gleichgültigkeit ("kalt"). In einer kalten Phase sehnt sich das Hirn nach Wärme. Diese Wechselwirkung erzeugt eine Form der Sucht, der Abhängigkeit. Ich verstehe nun, weshalb ich Aldi-Guy nicht loswerden konnte.


Was passierte als nächstes? In der gleichen Phase entschied eine meiner besten Freundinnen Anna*, dass sie nicht mehr mit mir befreundet sein wollte, was sie mir jedoch erst ein halbes Jahr später mitteilen konnte. Sie antwortete mir nicht mehr richtig auf meine Nachrichten und meine Fragen, ob alles in Ordnung sei. Sie distanzierte sich in einer Zeit, in welcher ich sie am meisten gebraucht hätte. Das war also meine Situation Ende 2024: Gesundheitlich angeschlagen, emotional ausgelaugt und mit dem Gefühl, im Stich gelassen zu werden.


Wer bis hier gekommen ist und gebannt auf die Parallele zur Bibelgeschichte gewartet hat, darf aufatmen: An Tag drei (wohl eher Tag 40) folgt meine Auferstehung. Nachdem ich Tage im Bett verbrachte, mich aus sozialen (zu dieser Zeit für mich sehr anstrengenden) Anlässen zurückzog und in Selbstmitleid versank, stand ich eines Morgens auf und entschied, einfach wieder glücklich zu sein. Zum Glück haben der gute Herr und ich uns auch wirklich nur einen Monat gedatet. Einen Monat zu lange. Pünktlich zu Neujahr 2025 war ich dazu bereit, zu meinem Vor-Aldi-Guy-Ich zurückzukehren, wozu ich mir (im Sinne der Wiederauferstehung und nicht etwa als Neujahresvorsatz) drei Dinge vornahm: 1. Freundschaften zu überdenken: Durch die Krise habe ich gemerkt, wer für mich da sein kann und wer nicht. Freunde sollen Energie spenden und inspirieren. Weil wir uns alle weiterentwickeln, passen Freundschaften manchmal einfach nicht mehr. Das ist völlig in Ordnung. Dann ist es an der Zeit, dass diese Freundschaft Platz macht, damit eine andere wachsen kann; 2. Meine eigenen Fähigkeiten weniger zu hinterfragen. Kommunikation kann ich (diese Aussage ist Marina approved). Wenn die Kommunikation nicht funktioniert, liegt das nicht immer am Absender/der Absenderin, sondern vielleicht auch an dem Empfänger/der Empängerin. Oder vielleicht hat man auch einfach unterschiedliche Ansprüche an Kommunikation; und 3. Meine Datingziele zu überdenken. Situationships sind gar nicht mein Ding. Ich brauche von Anfang an klare und offene Kommunikation. Auch wenn ich mit Aldi-Guy keine feste Beziehung haben wollte, heisst das nicht, dass ich Bindungsängste habe. Meine Intuition hat mir einfach versucht zu sagen: Oh Gott oh Gott. Bitte bitte nicht mit diesem Dude.


Denke ich an diese turbulente Zeit zurück, muss ich schmunzeln, weil ich an all meine Freunde und Freundinnen denke, die für mich da waren und mir gezeigt haben, wie eine richtige Freundschaft aussieht. Die Freundin, die mein Leben verlassen hat, schaffte Raum, damit die anderen Freundschaften blühen und gedeihen konnten. Meine Freundin Giselda* traf ich etwa, bevor ich Aldi-Guy das erste Mal den Laufpass gab. Sie schickte mich mit Couscous-Salat, Pfefferspray und Taschenrüchern bewaffnet los und beobachtete meinen Standort quasi im Live-Stream auf ihrem Telefon. Oder meine Mitbewohnerin und Freundin Lotte*, die mich begleitete, als wir (mit Kapuzenpullover und Trench-Coat zu zweit auf einem E-Scooter) zum Briefkasten von Aldi-Guy fuhren und eine Tüte mit seinen Sachen deponierten. Oder mein Freund Tristan*, der seine Fenster putze, während ich auf seinem Sofa lag und eine meiner Panikattacke ausklingen liess. Oder meine Freundin und Mitbewohnerin Jade*, die nach der Arbeit nach Hause kam und mich im Badeanzug im dunklen Wohnzimmer lachend und Ramen schlürfend vorfand. Wie bereits gesagt: Ich hatte eine kleine Krise.


Ich habe also wieder zu mir selbst gefunden und bin wieder die Alte. Ich bin zurück; reifer, dankbarer und besser als zuvor. Umgeben von echten, tollen & inspirierenden Menschen. Und wenn ich jetzt auf einer Dating-App den (sehr originellen) Spruch "Wir können ja sagen, wir hätten uns beim Einkaufen kennengelernt" lese, muss ich lachen.


x, P

ree

 
 
 

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